Er setzt seinen Körper als Material und Bedeutungsträger ein: Der Künstler Jürgen Klauke

Künstler Jürgen Klauke 80 :
Das Selbst bestimmen

Von Georg Imdahl
Lesezeit: 2 Min.

Das kürzlich erlassene „Gesetz über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag“ dürfte ­Jürgen Klauke als Bestätigung seines Frühwerks auffassen. Schon in den Siebzigerjahren – lange bevor eine Vokabel wie queer in den allgemeinen Sprachgebrauch über­gehen sollte – hatte der Kölner Performer in unterschiedlichen Bilder­serien und rauschhaften Rol­lenspielen eine transsexuelle Identität vorgeführt, die in der Gesellschaft verdrängt, wenn nicht gar als abnorm und krank verachtet wurde. Überhaupt gilt das multiple Ich als su­spekt, umso lustvoller gab Klauke den Transvestiten, trat mit femininen Attributen in Erscheinung, machte den eigenen Körper zur Projektionsfläche für ein komplexes Ego.

Indem er von den weiblichen ­Erkennungszeichen – Schminke, Schmuck, Nagellack – Besitz ergriff, legte er nicht nur die damals aufkommende Appropriation Art in herausfordernder Spielart aus. Als Transformer führte er eigenwillig auch Fotografie und Performance zusammen, folgte damit seltenen Vorläuferinnen wie der Literatin und Fotografin Claude Cahun oder dem Erotik-Fetischisten Pierre Molinier, der auch schon ein Faible für Stöckelschuhe, Prothesen, Dildos und dergleichen an den Tag gelegt hatte.

Klauke trat, wohlgemerkt, als Künstler auf, nicht als Aktivist. Seine Subversionen hat er als kühles, aber auch lustvolles Konzept beschrieben und klargestellt, dass er seinen Körper als „Arbeitsmaterial und Gedankenträger“ eingesetzt hat. In einer Sequenz wie jener unter dem Titel „Das menschliche Antlitz im Spiegel soziologisch-nervöser Prozesse“ von 1977 verstand sich das von selbst, denn Klauke lieh darin seine fröhliche oder böse Visage zwölf Charaktertypen wie dem Heiligen, Süchtigen oder dem Künstler, dem Beamten, Priester oder dem Soldaten. Der Mann mit dem weißen Hemd und dem schwarzen Schlips karikierte damit nicht nur das 1977 allgegenwärtige RAF-Fahndungsfoto; er identifizierte sich erkennbar mit den Außenseitern des Gemeinwesens.

Er erfand die Kunstfigur des rheinischen Ziggy Stardust

Mit einer androgynen, dionysischen und exzessiven Existenz hat der rheinische Ziggy Stardust (nach der legendären Kunstfigur von David Bowie) ein singuläres Künstlertum im Rheinland zelebriert. Zu einer vollends seltsam-inspirierenden Figur avancierte der zweimalige Documenta-Teilnehmer später dadurch, dass er das transsexuelle Vexierspiel hinter sich ließ. Nun inszenierte sich Klauke als Protagonist eines bürgerlich-neurotischen Daseins mit all seinen Hemmnissen von Lethargie, Langeweile, Sonntagsneurose, all dies in großformatigen, somnambulen Foto-Tableaux, die eine radikale Alternative boten zu dem, was in der Fotostadt Düsseldorf angesagt war.

Plötzlich hantierte Klauke nicht mehr mit Penis, Vulva und Gummipuppe, nun rückte er Tisch, Stuhl und Spazierstock, den pechschwarzen Anzug und seine Stiefeletten ins Blickfeld; wiederum später dann verstrickte er sich symbolisch in einen, natürlich aussichtslosen, Widerstreit mit dem Kabelgewirr, das die angeblich so immaterielle Kommunikation der Gegenwart ermöglicht. In Sachen Genderidentität darf er sich einen der letzten echten Avantgardisten nennen. Geboren 1943 in Kilding bei Cochem an der Mosel, wird Jürgen Klauke heute achtzig Jahre alt.